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Buchrezension: „Shantaram“ von Gregory David Roberts

Ein Meisterwerk über die Unterwelt Bombays (gelesen in der englischsprachigen Originalfassung)

Inhaltsangabe

Der bereits 2003 erstmals veröffentlichte autobiografische Roman „Shantaram“ beginnt, als der Australier Lindsay in den 1980er Jahren aus dem australischen Gefängnis in die Metropole Bombay flüchtet und dort ein neues Leben beginnt. Schnell fühlt er sich in dem internationalen Bevölkerungsmix zu Hause, findet aber gleichzeitig durch seinen neuen Freund Prabaker außergewöhnlich intensiven Zugang zur indischen Mentalität. Über die Umwege einer unglücklichen Liebe verhelfen ihm sein Status als Ausländer und sein Sprachtalent zu guten Geschäftskontakten und Freundschaften mit dem Bombay regierenden Mafia-Clan eines muslimischen Afghanen.

Über acht Jahre wird der Leser geführt durch die faszinierende Welt des Schwarzmarktes, die verschiedenen Gesellschaftsschichten Bombays, den brutalen, rechtsfreien Gefängnisapparat und die bewegende Gedanken- und Gefühlswelt eines Gefängnisflüchtlings auf der Suche nach Familie, Liebe und Normalität.

Mehrwert für den Leser

Die kraftvolle Sprache des Protagonisten lässt die Leserin diese Geschichte nur ungern aus der Hand legen. Durch eine geschickte Kapitelstruktur wird die Spannung über mehr als 900 Seiten aufrechterhalten. Die tiefe Sehnsucht Lindsays nach Vergebung, Liebe und Normalität treibt ihn durch das faszinierende Indien. Dort begegnet er liebenswerten Menschen, aber genauso Armut sowie menschlichen Abgründen.

Die geschilderte bunte Vielfalt des Landes spiegelt sich in der permanenten Differenziertheit wider, die der Protagonist fühlt und eindrucksvoll beschreibt: Der Leser weiß um Lindsays begangene Verbrechen – trotzdem wächst die Sympathie für ihn mit jeder gelesenen Seite. Lindsay arbeitet für die Mafia – trotzdem werden moralische Grenzen festgelegt und eingehalten. Der Clan bietet ihm Familienersatz und Schutz – trotz der großen Dankbarkeit für die neuen Chancen ist er sich fortwährend darüber bewusst, dass der Preis dafür erneute Gesetzesverstöße sind.

Der letzte Abschnitt eines jeden Kapitels mutet wie eine Lektion des Lebens an, die den Leser Lindsays langen Weg zu Vergebung und innerem Frieden nachempfinden lässt.

Fazit

Der Roman besticht durch seine Vielseitigkeit: Der Leser lernt die schillernde Unterwelt der Mafia inklusive Passfälschungen, Schwarzmarkt-Wechselkurse sowie spannende und berührende Lebensgeschichten der Clanmitglieder und anderen untergetauchten Stadtbewohnern kennen. Neben Mafia-Reichtum und der Glitzerwelt der indischen Filmindustrie wird genauso das Leben im Slum gezeichnet sowie das Paralleluniversum der Touristen auf Stippvisite. „Shantaram“ ist deshalb keinesfalls lediglich ein Krimi, sondern genauso berührende Liebesgeschichte wie faszinierendes Stadtportrait Bombays und bewegende Lebensgeschichte eines jungen Mannes.

Etwas unbefriedigend erscheint das Romanende. Für meinen Geschmack bleibt es zu offen. Allerdings gibt es bereits eine Fortsetzung der Geschichte. Deshalb ist das offene Ende zu verschmerzen.

Ich kenne die deutsche Übersetzung nicht, empfehle aber aufgrund der kraftvollen Sprache die Lektüre der englischsprachigen Originalfassung.

Angaben zum Buch

Gregory David Roberts: Shantaram, Little, Brown Book Group, New edition, London 2013, 944 Seiten.

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